In der Klinik sagten sie ihm, dass läge an der eigenen Zuckerproduktion der Leber. wenn er wenig isst, produziert die Leber zuviel Zucker. Hab dann mal gegoogelt und das gefunden.
Habe ich nicht gewusst
Das entscheidende Stichwort heisst «körpereigene Zuckerproduktion». Fachleute sprechen von einer Gluconeogenese. Es ist ganz offenbar nicht Allgemeinwissen, dass unser Körper während eines grösseren Teils des Tages in aller Stille daran ist, Zucker herzustellen. Einige unserer Organe sind für ein richtiges Funktionieren nämlich dauernd und zwingend auf Zucker angewiesen, insbesondere das Gehirn. Diese Organe sind aber oft nicht ausgerüstet, diesen Zucker selbst zu produzieren oder ihn zu speichern und bei Bedarf abzurufen. Sie brauchen eine regelmässige Zuckerquelle. Der Körper hat diese Arbeit hauptsächlich an zwei Organe delegiert: Leber und Nieren sind unsere körpereigene «Zuckerfabrik». Chef dieses Unternehmens ist das Insulin. Im Gegensatz zum Berufsleben bremst dieser Chef aber die Arbeiter. Ohne den Einfluss des Insulins würden Leber und Niere ungehemmt Zucker produzieren. Ist nun zu wenig Insulin vorhanden (Insulinmangel) oder die Wirkung des Insulins abgeschwächt (Insulinresistenz), läuft die Gluconeogenese auf zu hohen Touren und der Blutzucker steigt entsprechend an. Der nächtliche Blutzuckeranstieg lässt sich also erklären durch eine zu intensive körpereigene Zuckerproduktion während der Nacht.
Damit sind wir auch bereits auf halbem Weg, ein anderes Phänomen erklären zu können, welches immer wieder zu Fragen Anlass gibt – meist in etwas frustriertem, leicht anklagendem Ton –: Viele Diabetiker haben schon beobachtet, dass der am frühen Morgen gemessene Blutzucker manchmal nur wenig schwankt, ob sie nun leicht oder aber «deftig» zu Abend gegessen haben.
Wiederholen wir: Der Körper stellt regelmässig Zucker her. Sind wir nun aber am Essen, macht es wenig Sinn, wenn Leber und Nieren die Zuckerproduktion aufrechterhalten. Sobald wir zu essen beginnen, wird der Betrieb in der Zuckerfabrik deshalb «automatisch» gedrosselt oder vorübergehend ganz eingestellt. Eine üppige Abendmahlzeit bremst die Zuckerproduktion erwartungsgemäss mehr und anhaltender als eine kleine. Die Gesamtbilanz von Zuckerzufuhr – über das Essen – und Zuckerproduktion ist deshalb nicht so unterschiedlich wie erwartet. Allfällige «Diätsünden» zeigen sich nicht so ausgeprägt am Morgen-Blutzucker. Daraus nun zu folgern, es mache gar nicht viel Sinn, das Abendessen diabetesgerecht zu gestalten, ist allerdings falsch. Zwar ist es so, dass sich einzelne diätetische Ausrutscher wenig auswirken auf die Stoffwechselkontrolle. Würde man sich aber regelmässig über die Ernährungsempfehlungen hinwegsetzen, käme es zwangsläufig zu einem Gewichtsanstieg, der zusammen mit der kalorien- und fettreichen Ernährung die Insulinwirkung zunehmend ungünstig beeinflussen würde. Wegen der erhöhten Insulinresistenz würde die nächtliche Gluconeogenese durch Leber und Niere weniger gebremst und der Morgenblutzucker langsam ansteigen.
Was lassen sich daraus für Konsequenzen ziehen? Aus einer isolierten Beobachtung – der Blutzucker am folgenden Morgen wird kaum beeinflusst durch die Grösse der Abendmahlzeit – lässt sich nicht folgern, dass das Essen nur wenig Einfluss hat auf die Einstellung des Diabetes. Wiederholte «Verstösse» gegen eine gesunde Ernährung zeigen sich, gemessen am Nüchternblutzucker, erst indirekt und zeitlich verzögert. Gelegentliche «Sünden» werden (fast) verziehen.
Dr. med. K. Scheidegger